Hachenburg im Westerwald ist bekannt für seine Fachwerkhäuser, sein Schloss und die ortsansässige Brauerei. Hierhin verreisen gestresste Städter, wenn sie ein Wochenende in der Natur verbringen wollen.

Und es ist am ersten Samstag im Oktober der Schauplatz einer Großrazzia. Dabei stehen sich über 200 Polizisten und 130 Kampfsportbegeisterte gegenüber, die zu einer Veranstaltung der rechtsextremen Kleinstpartei Der Dritte Weg angereist waren.

Fünf Stunden dauert der nächtliche Einsatz. Er könnte der Anfang vom Ende eines seit fünf Jahren andauernden Kampfes der Zivilgesellschaft sein.

Festgenommen wurde bei der Hausdurchsuchung niemand, der Einsatz sollte vor allem eine Maßnahme gegen politischen Extremismus sein. Laut dem rheinland-pfälzischen Innenministerium stellten Ermittler Gegenstände mit verfassungsfeindlichen Symbolen sicher, gefunden wurden laut Polizeiberichten auch Drogen und Waffen.

Das Aufgebot ist eine Überraschung im Ort, auch für diejenigen, die sich sehr genau mit der Fassfabrik beschäftigen. Sebastian, der in diesem Text nur beim Vornamen genannt werden möchte, ahnt bei einem Ortstermin 36 Stunden zuvor nichts davon.

Über die Hintergründe weiß er dafür umso mehr. Beim lokalen Bündnis Demos ist er der Experte für rechte Immobilien. “Da drin findet eine Radikalisierungsspirale statt”, sagt er über den Ort, an den bald die Polizei ausrücken wird. Er redet von der Fassfabrik, die er nur “Hassfabrik” nennt.

In dem unscheinbaren Gebäude am Rand der rheinland-pfälzischen Kleinstadt treffen sich immer wieder Rechtsextreme. Sebastian und seine Mitstreiter wollen das beenden.

Die Geschichte der Fassfabrik war schon vor 1945 unrühmlich, als dort Zwangsarbeiter arbeiten mussten. Der unrühmliche Teil, mit dem sich Demos heute beschäftigt, begann allerdings erst 2019. Damals entdeckte die AfD Westerwald das Gebäude und verlegte den offiziellen Sitz ihres Kreisverbandes hierhin.

Bei der Eröffnung tauchte Andreas Kalbitz auf, damals noch Landesvorsitzender in Brandenburg, kurz darauf lud die Partei zu einem Stammtisch ein. Doch dabei blieb es nicht.

Heute nennt der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz den Ort in seinem Jahresbericht einen “Knotenpunkt des Rechtsextremismus”, an dem der Dritte Weg regelmäßig Info- und Kampfsportabende veranstaltet.

Laut Mainzer Innenministerium trafen sich dort in der Vergangenheit auch Menschen “aus dem Spektrum der Neuen Rechten und der Jungen Alternative”.

Nur 500 Meter sind es vom Büro von Marco Dörner bis zur Fassfabrik. Es ist der Freitagmittag vor der Razzia. Gerade hatte der SPD-Politiker und Erste Beigeordnete der Verbandsgemeinde Hachenburg noch mit Sebastian von Demos im Warmen gesessen, nun hat er sich seinen Mantel angezogen und geht am Bahnhof und Kino vorbei, rein in ein kleines Industriegebiet.

Eigentlich gehört der Einsatz gegen Demokratiefeinde nicht zu Dörners Fachgebiet. Warum er sich trotzdem kümmert? “Ausruhen geht nicht. Wehret den Anfängen.”

Im Büro hatten sich beide darüber gefreut, wie ruhig es um die Fassfabrik geworden sei und dass mittlerweile auch die AfD die Adresse aus ihrem Online-Impressum gestrichen habe. Nun sehen sie einen neuen “Anti-Antifa”-Sticker an einer nahen Laterne und das Auto des mutmaßlichen Betreibers, das vor dem weißen Kastenbau geparkt ist.

Von der Straße ist hörbar, dass vor dem Gebäude gearbeitet wird. Vielleicht sind es schon die Vorbereitungen für das Kampfsportevent Samstagnacht. “Es kann sein, dass sie jetzt mehr Zeit für Dinge haben, die eh nicht in der Öffentlichkeit stattfinden sollen”, hatte Sebastian eben noch gemahnt.

Marco Dörner hat erst durch den persönlichen Kontakt zu Sebastian vom vollen Umfang der Probleme an der Fassfabrik gehört. Trotz des vielfältigen Protests, den Demos vom ersten Tag an organisiert hatte – der Flyer, die an alle Hachenburger Haushalte gingen, der Kundgebungen und der Aufklärung im Internet.

Am Anfang ging es Demos vor allem darum, dass sich die Gruppen aus der Fabrik nicht gesellschaftlich verankerten. Heute würden sie gerne die rechtsextreme Nutzung des Privatgebäudes beenden. Doch die Besitzer sind nicht greifbar, die Betreiber offenbar heute auch der AfD zu rechts.

Dialog fällt da aus und behördliche Maßnahmen sind schwierig. “Das ist eine private Immobilie. Das sind keine Versammlungsstätten. Ich habe keine Möglichkeit, öffentlich-rechtlich da irgendetwas zu unternehmen”, sagt Dörner. Was bleibt, sind Aufklärung und Protest.

Von der Fassfabrik aus geht es steil bergauf in Richtung Stadtzentrum. Nicht weit von der Fußgängerzone mit ihren Fachwerkhäusern entfernt ist an einer Mauer eine kleine Tafel angebracht. “Zum Gedenken an Nihad Yusufoğlu – am 28.12.1990 von einem Neo-Nazi erstochen – Erinnern heißt widerstehen”, steht darauf.

Ein Skinhead hatte den Sohn einer kurdischen Familie, die hier lebte, mit einem Messerstich getötet. Der Täter wurde wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Nihat_Yusufoğlu

Nach der Tat gingen in Hachenburg 3.000 Menschen auf die Straße, rund die Hälfte der heutigen Einwohnerzahl. Doch die Stadt bleibt ein beliebter Treffpunkt für Skinheads und rechte Kameradschaften.

*Boneheads. Skinheads sind Mitglieder der Subkultur und überwiegend links bis „unpolitisch“ und antirassistisch. Die rechte Abspaltung wird Boneheads genannt. Es gibt auch eine kleine linksradikale Abspaltung namens Redskins.

Optisch kann man Skinheads und Boneheads daran unterscheiden, dass Skinheads oft noch kurze Haare haben, währen Boneheads immer Glatzen haben.

Der Dritte Weg organisiert Infostände, es kommt zu Auseinandersetzungen. Heute ist der Westerwald wegen seiner zentralen Lage im Dreiländereck zwischen Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hessen auch in der Reichsbürgerszene als Rückzugsort beliebt.

Dass sich die rechte Szene nur noch im Verborgenen hinter den Mauern der Fassfabrik trifft, ist für Demos ein Erfolg. “Die Fassfabrik hatte eigentlich den Anspruch, nach außen zu wirken. Das hat definitiv nicht geklappt”, sagt Sebastian.

Doch damit schwindet auch die Aufmerksamkeit für das Thema. Selbst Bürgermeister Stefan Leukel scheint daran – zumindest vor der öffentlichkeitswirksamen Razzia – kein erhöhtes Interesse mehr zu haben. Auf wiederholte Anfragen von ZEIT ONLINE reagierte er nicht.

Welcher Bürgermeister gibt schon gerne zu, dass er nichts gegen einen Neonazitreff machen kann?

Erst mehr als 30 Jahre nach dem Tod von Nihad Yusufoğlu demonstrierten in Hachenburg wieder 3.000 Menschen – im Februar 2024, nach den Berichten über die Konferenz in Potsdam, bei der Martin Sellner und andere Vertreter der Neuen Rechten über massenhafte Deportationen diskutierten.

Vor Ort verbanden die Organisatoren die bundesweiten Proteste mit der Forderung nach einer Schließung der Fassfabrik. Eine bereits zuvor ausgearbeitete “Hachenburger Erklärung” gegen Hass und Hetze wurde bis heute insgesamt 3.400-mal unterzeichnet.

Es gibt einen Runden Tisch, in dem sich ein Bündnis aus Schulen, Geschäftsleuten, Vereinen und Parteien vernetzt.

Doch es gibt auch die andere Seite. Bei der Europawahl wurde die AfD bei den Urnenwählern in zwei Orten der eigentlich sozialdemokratisch geprägten Verbandsgemeinde stärkste Kraft. In Hachenburg selbst holte sie immerhin 17 Prozent der Stimmen.

In Sachen Fassfabrik scheint sich nun etwas zu tun. Beim Gespräch am Freitag vor der Razzia hatte Sebastian noch gesagt, dass sich die Nutzung des Gebäudes langsam ausschleiche. Dass seine Mitstreiter und er vielleicht gar nicht merken werden, wenn sich dort tatsächlich keine Rechtsextremen mehr treffen. So sehr sei das Thema aus der Öffentlichkeit verschwunden.

Wenige Tage nach dem Polizeieinsatz stellt Landtagspräsident Hendrik Hering, selbst Hachenburger, bei einer kurzfristigen Infoveranstaltung des Runden Tischs ein baldiges Ende der Fassfabrik in Aussicht, Bürgermeister Stefan Leukel betont laut Rhein-Zeitung im Stadtrat, dass der “Schandfleck” verschwinden müsse.

Auf Anfrage von ZEIT ONLINE werden weder Hering noch das rheinland-pfälzische Innenministerium konkret. Hering begründet seine Zurückhaltung damit, dass er weitere Pläne nicht gefährden wolle. In Hachenburg scheint endgültig etwas in Bewegung geraten zu sein.